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Sich den Menschen und der Kunst widmen:

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Ein Gespräch mit den ukrainischen Galeristen Dr. Ann Glasova und Yurii Akimenko

von Elisia Kuhfuss

 

 

Das Leben ändert sich, und die Tätigkeitsbereiche ändern sich, aber sie bleiben immer den Menschen [und] der Kunst, den Schöpfern der Schönheit, gewidmet. – Dr. Ann Glasova

 

Mein Lieblingsprojekt bei JKPeV im Jahr 2022 war unser Deutschkurs für Neulinge im Rahmen von Support Your Ukrainian Neighbor. Magda, Doreen und ich hatten nicht nur Spaß daran, einen einzigartigen Lehrplan und Sprachlernspiele zu entwickeln, sondern wir hatten auch die Gelegenheit, einige der ukrainischen Flüchtlinge in unserer Gemeinde kennenzulernen, die zwischen 8 und 80 Jahre alt waren. Zwei Teilnehmende, die mich besonders berührten, war die Geschäftspartnerschaft Dr. Ann Glasova und Yurii Akimenko aus Odesa. Ann und Yurii, beide erfahrene Kunsthandeltreibende, haben 2005 ihre Sammlungen in der Galerie Kandinsky vereint. In der Woche vor Weihnachten trafen wir drei uns in der KulturCentrale zu einem freundlichen Gespräch.

 

Anns Augen strahlen vor Lebendigkeit und Intelligenz. Sie ist aufgeschlossen und gesprächig. Im Gegensatz dazu ist ihr Partner Yurii ruhig und zurückhaltend, aber er strahlt Freundlichkeit und Wärme aus. Er scheint sich damit zufrieden zu geben, Ann das Reden zu überlassen, unterbricht sie aber ab und zu und illustriert wichtige Aspekte, indem er mir Bilder von seinem Handy zeigt.

Ann hat ein Haus am Schwarzen Meer. In ihrer Stimme liegt ein unverkennbarer Hauch von Sehnsucht. Nicht eine Wohnung, sondern ein Haus. Sie erzählt mir von Klippen, künstlichen Stränden und dem Beobachten von Menschen. Im Sommer sind die Strände voll mit Sonnenhungrigen. Die Leute bleiben den ganzen Tag und picknicken neben dem Wasser. Vor allem junge Leute aus der ganzen Welt sind hier. Ann glaubt, dass die jungen Leute wegen der Freiheit und der Kunst- und Kulturszene nach Odesa kommen. Eine Szene, die sie und Yurii gut kennen und die in ihrer Existenz bedroht ist. Während der Krieg in der Ukraine weiter wütet, verlassen die Kunstschaffenden die Stadt. Es ist schwer zu sagen, ob sie jemals zurückkommen werden.

 

Während ich mich auf meinen eigenen Weihnachtsurlaub freue, sind Ann und Yurii gerade von einem Besuch in Odesa zu Chanukka zurückgekehrt. Sie erzählen mir von häufigen Stromausfällen, denn der Strom fällt immer zur Unzeit aus, zum Beispiel während des Waschgangs, so dass man die durchnässten Wäschehaufen per Hand auswringen muss. Yurii zeigt mir einen farbcodierten Zeitplan in Weiß, Grau und Schwarz. Weiß bedeutet, dass es zu dieser Zeit Strom geben wird, grau bedeutet „vielleicht Strom“ und schwarz bedeutet „kein Strom“. Sie erzählen von Kindern, die mit Taschenlampen zur Schule gehen. „Odesa liegt in der Dunkelheit“, beklagt Ann. „Nicht nur in Dunkelheit, weil es Winter ist, sondern in echter Dunkelheit“. Sie machen sich große Sorgen um die Zukunft der Ukraine – sowohl um ihre eigene Zukunft als auch um die der Kinder, Jugendlichen und Kunstschaffenden in der Ukraine.

 

„Es ist nicht mehr möglich, in der Ukraine Kunstschaffender zu sein“, sagt Ann. Die Menschen haben kein Geld für Kunst, wenn sie nicht genug zu essen haben und wenn ihre Zukunft ungewiss ist. Die Menschen unterstützen die Kunst in Zeiten des Überflusses, nicht des Mangels. Sie und Yurii fühlen sich verloren. Odesa wird immer ihr Zuhause sein, aber das Zuhause, das sie kannten, hat sich verändert und wird wahrscheinlich nie wieder dasselbe sein.

„Niemand will jemals über die finanzielle Seite der Kunst sprechen“, sagt Ann. Aber Kunstschaffende müssen lernen, damit umzugehen. Ann und Yurii wissen das, denn sie sind Fachleute auf diesem Gebiet. Ann hat Kunstgeschichte an der Universität Odesa studiert und später in jüdischer Geschichte promoviert. Als sie jünger war, arbeitete sie an archäologischen Ausgrabungen in Odesa und spezialisierte sich auf antike Numismatik. Vor der vorzeitigen Schließung der Galerie Kandinsky im Februar letzten Jahres hatten sich Ann und Yurii einen Namen als Beratende von Kunstschaffenden und Sammelnden gemacht. Yurii hat seine erste Sammlung mit einer Erbschaft aus dem Weingeschäft seiner Familie finanziert.

 

Den Kunstsammelnden können die beiden dabei helfen, aus einer scheinbar unendlichen Vielzahl von Angeboten das Richtige zu finden. Ann und Yurii fragen die angehenden Sammlerinnen und Sammler, was ihnen wichtig ist, z. B. Porträts, Landschaften, bestimmte Kunstschaffende oder Orte. Ann fühlt sich zu impressionistischen Werken hingezogen, vor allem zu denen aus dem Paris des frühen 20. Jahrhunderts. Ann ist nicht nur Kunsthistorikerin und Sammlerin, sondern auch Künstlerin. In ihrer eigenen Arbeit ist Anns Lieblingsmedium Graphit. Sie sagt, dass in der Farbe zu viel Ausdruck verloren geht. Farbe kann nie so rein sein wie Graphit.

 

 

Ann posiert vor der Full Moon Gallery von JKPeV. Hinter ihr ist eine Ausstellung mit einigen von Anns Graphitarbeiten zu sehen.

 

Ich frage sie, wie es ist, Jüdin zu sein und als Flüchtling in Dresden zu leben. Ann gibt zu, dass es ein bisschen unheimlich ist. Ihre Vorfahren lebten einst nicht weit von Dresden entfernt in Halle, Sachsen-Anhalt.  Im Jahr 1821 siedelte die gesamte Gemeinde nach Odesa um, das damals für viele jüdische Familien eine willkommene Oase war. Es ist eine merkwürdige Wendung des Schicksals, dass das Land, das Anns Vorfahren einst feindlich gesinnt war, nun ihr Zufluchtsort ist. Da Ann und Yurii einen großen Teil ihres Lebens hinter dem Eisernen Vorhang verbracht haben, fühlen sie sich auch mit Dresden verbunden, denn die Stadt war eine Art Mekka für Kunstschaffende aus der Sowjetzeit, von denen Ann und Yurii heute viele Werke sammeln und ausstellen. Die Kultur- und Kunstszene von Dresden und insbesondere der Neustadt erinnert Ann in vielerlei Hinsicht an Odesa. „Ich habe eine große Verbindung zu beiden Städten“, sagt sie.

 

Da die Zukunft von Odesa in Frage steht, sprechen Ann und Yurii davon, eine neue Galerie in der -Dresdner Neustadt zu eröffnen. Zurzeit besuchen sie intensive Deutschkurse an der TU Dresden. Sie möchten Werke von jüdischen und armenischen Künstlern, die in Odesa leben, sowie von Kunstschaffenden aus Dresden ausstellen. Es ist schwer für sie, in ihrem Alter den Kurs ihres Lebens zu ändern, aber Ann und Yurii betonen, wie wichtig es ist, einen Fuß vor den anderen zu setzen und immer vorwärts zu gehen, egal, was im Leben passiert.

 

Ann und Yurii haben an den JKPeV-Projekten Support Your Ukrainian Neighbors und HANNAH im Rahmen der Jüdischen Woche teilgenommen und Kunstwerke für unseren jährlichen Weihnachtskunstmarkt beigesteuert. JKPeV setzt sich dafür ein, Kunstschaffende und Flüchtlinge wie Ann und Yurii zu unterstützen. Wir sind stolz darauf, dass wir helfen können, indem wir einige ihrer Ausstellungsstücke sicher aufbewahren, bis Ann und Yurii wieder öffnen können.